Vielleicht hast du es schon mal gehört: Wer Absinth trinkt, erlebt einen Kater wie kein anderer. Ein Kater, der nicht nur Kopfschmerzen und Übelkeit mit sich bringt, sondern auch Halluzinationen, Angstzustände und eine Art geistige Müdigkeit, die Tage anhält. Doch stimmt das wirklich? Oder ist das nur ein Mythos, der seit dem 19. Jahrhundert durch die Kunst, die Literatur und die Angst vor dem grünen Geist lebt?
Was ist Absinth eigentlich?
Absinth ist ein hochprozentiger Kräuterlikör mit mindestens 45 % Vol. Alkohol. Seine charakteristische grüne Farbe kommt von natürlichen Pflanzenextrakten - vor allem Wermut, Anis und Fenchel. Der Wermut ist der Schlüssel. Er enthält Thujon, eine chemische Verbindung, die lange als verantwortlich für die angeblich halluzinogenen Wirkungen von Absinth galt.
In den 1900er Jahren wurde Absinth in vielen Ländern verboten, weil man dachte, Thujon sei eine Art natürliche Droge, die das Gehirn angreift. Heute wissen wir: Der Thujongehalt in modernem Absinth ist so gering, dass er keinen psychotropen Effekt haben kann. Die EU erlaubt maximal 35 mg Thujon pro Liter - das ist weniger als in einer Tasse Wermuttee. Selbst wenn du eine Flasche leertrinkst, bekommst du nicht mehr Thujon als dein Körper problemlos abbaut.
Warum fühlt sich ein Absinth-Kater anders an?
Der Grund, warum viele Menschen nach Absinth einen schlimmeren Kater erleben, liegt nicht in Thujon - sondern in der Alkoholkonzentration und der Art, wie er getrunken wird.
Absinth ist stark. 45-74 % Alkohol. Das ist mehr als Wodka oder Gin. Wenn du ihn pur trinkst oder in großen Mengen, ohne Wasser, dann belastest du deine Leber, deinen Magen und dein Nervensystem massiv. Der Körper muss den Alkohol abbauen, und das braucht Zeit. Je schneller du trinkst, desto schneller steigt der Blutalkoholspiegel - und desto heftiger ist der Absturz am nächsten Tag.
Dazu kommt: Traditionell wird Absinth mit Wasser verdünnt - oft mit einem Zuckerwürfel. Aber viele trinken ihn heute wie einen Schnaps: pur, schnell, ohne Pause. Das ist kein Ritual - das ist Selbstüberforderung. Und genau das führt zu Kater.
Ein Vergleich: Du trinkst ein Glas Wein (12 %) und ein Glas Absinth (60 %). Beide haben etwa 20 ml reinen Alkohol. Aber beim Absinth ist der Alkohol nicht in 150 ml Flüssigkeit verteilt - sondern in 30 ml. Dein Körper muss den ganzen Schlag auf einmal verarbeiten. Kein Wunder, dass du dich am nächsten Morgen wie gerädert fühlst.
Die Rolle der Zusatzstoffe
Ein weiterer Faktor: Billiger Absinth. Nicht alle Produkte sind gleich. Ein hochwertiger, traditionell hergestellter Absinth aus Frankreich oder der Schweiz enthält nur natürliche Kräuter, destilliertes Getreide und Wasser. Ein günstiger Absinth aus dem Supermarkt kann künstliche Farbstoffe, Aromen und sogar Zuckerzusätze enthalten - die deinen Körper zusätzlich belasten.
Einige Hersteller verwenden künstliche Farbstoffe, um den grünen Ton zu erzeugen. Diese Stoffe sind nicht giftig, aber sie können bei empfindlichen Menschen zu Unverträglichkeiten führen - und das macht den Kater noch schlimmer. Auch industriell hergestellter Zucker, der in manchen Absinths als Süßungsmittel dient, führt zu Blutzuckerschwankungen. Und das ist ein klassischer Kater-Treiber.
Wenn du einen Absinth trinkst, der in einer Flasche mit einer langen Zutatenliste steht - lass ihn liegen. Suche nach Produkten mit nur drei Zutaten: Wermut, Anis, Fenchel. Und kein Zucker. Kein Farbstoff. Kein Aroma.
Wie du einen Absinth-Kater vermeidest
Du willst Absinth genießen - aber nicht am nächsten Tag dafür bezahlen? Dann gilt: Ritual statt Rausch.
- Trinke nie pur. Verdünne ihn mit kaltem Wasser - mindestens 1:3, besser 1:5. Das reduziert den Alkoholgehalt und aktiviert die Aromen.
- Verwende keinen Zucker. Wenn du süß willst, nimm einen kleinen Würfel - aber nicht mehr. Zucker macht den Kater schlimmer.
- Trinke langsam. Ein Glas Absinth in 30 Minuten ist mehr als genug. Zwischen den Gläsern: Wasser trinken. Viel Wasser.
- Iss vorher. Ein leerer Magen beschleunigt die Alkoholaufnahme. Nimm etwas Fettiges, Eiweißreiches - Käse, Nüsse, Brot mit Butter.
- Trinke nicht täglich. Absinth ist kein Alltagsgetränk. Er ist ein Genussmittel - wie guter Wein oder Single Malt. Trink ihn bewusst, nicht als Ausrede zum Rausch.
Wer diese Regeln befolgt, trinkt Absinth - und hat am nächsten Tag nicht den Eindruck, als hätte er einen Kater. Sondern den Eindruck, als hätte er etwas Besonderes erlebt.
Was sagen Wissenschaftler?
Einige Studien haben die angebliche "Absinth-Toxizität" untersucht. Eine der bekanntesten kam 2005 vom Journal of Studies on Alcohol and Drugs. Forscher verglichen die Symptome von Menschen, die Absinth tranken, mit denen, die anderen hochprozentigen Spirituosen tranken. Ergebnis: Kein Unterschied. Der Kater war genauso schlimm - oder genauso mild - wie bei Wodka oder Gin.
Ein weiterer Hinweis: In der Schweiz und Frankreich, wo Absinth nie vollständig verboten war, gibt es keine Epidemie von Absinth-Katern. Menschen trinken ihn seit Jahrhunderten - und die meisten erleben keinen ungewöhnlich schweren Kater. Wenn du in Zürich oder Paris einen Absinth trinkst, bekommst du keinen "Hexenkater" - du bekommst einfach einen normalen Alkoholkater. Der gleiche wie nach jedem anderen starken Getränk.
Warum hält sich der Mythos?
Der Mythos vom absinth-bedingten Kater lebt, weil er gut zur Romantik passt. Die Bohème von Paris, van Gogh, Oscar Wilde, Baudelaire - sie alle tranken Absinth. Sie waren künstlerisch, verrückt, leidenschaftlich. Und wenn sie am nächsten Tag krank waren, dann war das kein Zufall - das war Teil der Legende.
Die Wahrheit ist einfacher: Wer viel Alkohol trinkt, kriegt einen Kater. Punkt. Der Absinth hat nichts Besonderes. Er ist nur stärker als die meisten anderen Getränke. Und er hat einen starken, bitteren Geschmack, der leicht dazu verleitet, ihn schnell zu trinken - ohne aufzupassen.
Der wahre Giftstoff ist nicht Thujon. Der Giftstoff ist die Unkenntnis. Wer denkt, Absinth sei eine Droge, trinkt ihn falsch. Wer denkt, er sei nur ein starker Alkohol, trinkt ihn richtig.
Was du wirklich brauchst, um Absinth zu genießen
Nicht ein besonderes Glas. Nicht eine teure Flasche. Nicht ein Ritual mit Kerzen und Löffel.
Du brauchst:
- Einen klaren Kopf - bevor du anfängst.
- Ein paar Stunden Zeit - nicht nur einen Abend.
- Wasser - viel davon.
- Respekt - für den Alkohol, nicht für den Mythos.
Wenn du das hast, dann ist Absinth nicht gefährlich. Er ist eine Erfahrung. Eine der schönsten, die der Alkohol zu bieten hat. Mit seinen Kräutern, seinem Duft, seiner Komplexität. Und ohne Kater - wenn du es richtig machst.
Kann Absinth wirklich Halluzinationen verursachen?
Nein. Moderne Absinthe enthalten zu wenig Thujon, um psychotrope Wirkungen zu haben. Die Halluzinationen, die in alten Berichten beschrieben werden, waren entweder durch starke Alkoholintoxikation, mangelhafte Herstellung (z. B. mit giftigen Zusätzen) oder psychologische Erwartungseffekte verursacht. Ein hochwertiger Absinth aus einer zertifizierten Brennerei ist sicher und nicht halluzinogen.
Ist Absinth heute noch legal in Deutschland?
Ja. Absinth ist in Deutschland seit 2005 wieder legal. Die EU-Grenzwerte für Thujon (35 mg/l) werden eingehalten. Du findest ihn in gut sortierten Spirituosengeschäften, Weinhandlungen und Online-Shops. Achte nur darauf, dass das Etikett die Zutaten und den Alkoholgehalt klar angibt.
Warum ist Absinth grün?
Die grüne Farbe kommt von den chlorophyllhaltigen Kräutern - vor allem Wermut -, die nach der Destillation in den Alkohol eingelegt werden. Dieser Prozess nennt sich "coloration". Einige Hersteller verwenden künstliche Farbstoffe, aber traditionelle Absinthe verfärbt sich natürlich. Wenn du einen Absinth trinkst, der sofort nach dem Öffnen grün ist und nicht mit Wasser verdünnt wird, könnte er künstlich gefärbt sein.
Kann man Absinth mit anderen Spirituosen mischen?
Technisch ja - aber es ist sinnlos. Absinth ist ein Komplexgetränk mit einem einzigartigen Aromaprofil. Wenn du ihn mit Cola, Limonade oder anderen Spirituosen mischst, tötest du seine Feinheit. Er ist kein Basisgetränk für Cocktails. Er ist ein Genussmittel für sich selbst - pur, verdünnt, langsam.
Wie viel Absinth ist zu viel?
Ein Glas - etwa 30 ml - ist eine vollständige Portion. Zwei Gläser am Abend sind bereits viel. Da Absinth 45-74 % Alkohol enthält, entspricht ein Glas ungefähr zwei Gläsern Wein. Wer mehr trinkt, riskiert eine starke Alkoholvergiftung - und einen schweren Kater. Es geht nicht um Menge, sondern um Respekt.